
Zigaretten-Diebstahl am Hafen: «Von langer Hand geplanter Inside-Job»
Lea Meister
Im April vor zwei Jahren soll eine Bande zwei Container mit für den südafrikanischen Markt bestimmten Zigaretten aufgebrochen und den Inhalt gestohlen haben. Drei mutmassliche Mittäter:innen mussten sich am Montag vor Gericht verantworten.
Das Diebesgut, laut Anklageschrift Zigaretten im Gesamtwert zwischen 3,4 und 15 Millionen Franken, wurde im Areal der Swissterminal AG an der Westquaistrasse in Basel gelagert. Für den Abtransport wollte die «Bande», wie sie von der Staatsanwaltschaft bezeichnet wird, über das Hafenareal fahren. Der Plan wurde dann in der Nacht vom 2. auf den 3. April 2022 in die Tat umgesetzt. Aber wie sollen die Beschuldigten überhaupt auf das Gelände gekommen sein?
Hier kommt einer der Angeklagten ins Spiel: Er arbeitete zu dieser Zeit im Hafengebiet. Er soll das Tor von innen her geöffnet und einen Kranführer damit beauftragt haben, einen der beiden Container eines Tabakkonzerns auf den Boden zu stellen. Der Kranführer tat dies, wie gefordert. Das wurde dem Angeklagten zum Verhängnis.
Die Vorschau auf den Prozess kannst du hier nachlesen:
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Ehepaar vor Gericht
Alle drei Beschuldigten erschienen am Montag vor Gericht. Der Hauptangeklagte, der als Einziger noch in Haft sitzt, ist 25 Jahre alt. Mitangeklagt ist seine 38-jährige Ehefrau, eine eingebürgerte Schweizerin mit Wohnsitz im Kanton Zürich. Kennengelernt haben sich die beiden auf Facebook, wie sie erzählen. Der 25-jährige Serbe und gelernte Gärtner sei dann einige Monate später zu ihr in die Schweiz gezogen. Wenig später haben sie geheiratet. «Ich war eigentlich nie wirklich für das Thema Heiraten. Aber: Wo die Liebe hinfällt, ich kanns leider nicht ändern», sagt die 38-Jährige am Montag vor Gericht.
Ihr Ehemann habe dann kurz in der Schweiz gearbeitet, sie hätten dann aber den Entschluss gefasst, nach dem Tod der Eltern der 38-Jährigen nach Serbien in ihr Elternhaus zurückzukehren. Auch, weil sie überlastet war und den hohen Arbeitsdruck in der Schweiz nicht mehr stemmen konnte und wollte. Sie sei stets zwei bis drei Jobs gleichzeitig nachgegangen, um das gemeinsame Leben finanzieren zu können. Der Plan: Die Eigentumswohnung in der Schweiz sollte verkauft und die Rückkehr nach Serbien so und mit weiteren Ersparnissen finanziert werden.
Ungleiches Trio
Kommen wir zum dritten Angeklagten. Ein 43-jähriger Kranführer aus der Türkei, der aber seit seinem 8. Lebensjahr in der Schweiz lebt. Er besitzt zwei Liegenschaften, arbeitet viel und war noch nie verschuldet. Vorstrafen hat er auch keine. Zur Zeit der ihm vorgeworfenen Taten arbeitete er als Krankführer im Hafengebiet. So wie die drei da sitzen, sind sie irgendwie ein ungleiches Team und passen nicht wirklich zusammen.
Der Hauptangeklagte wirkt sehr jung, seine Ehefrau hingegen selbstsicher und mit beiden Beinen im Leben stehend. Der dritte Angeklagte ist sichtlich mitgenommen. Seit der Verhaftung leidet er unter starken psychischen Problemen und am Tag seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft habe er sofort seinen Arzt aufgesucht. Seither befinde er sich in psychologischer Behandlung, wie seine Anwältin Sandra Schultz-Schmitt sagt und mit Dokumenten belegen kann.
Gegen Strippenzieher werden separate Prozesse geführt
Welches wichtige Detail fehlt also? Die beiden Männer, die den Diebstahl geplant und im Endeffekt auch ausgeführt haben sollen, sind nicht Teil dieses Prozesses, die Verfahren gegen sie werden separat geführt. Dass er von einem der beiden Männer, genauer gesagt seinem Cousin, als «Aufpasser» angeheuert worden war und ihm dafür 10’000 Franken versprochen wurden, bestreitet der 25-jährige Angeklagte nicht. Er gibt auch zu, die beiden ab und an herumgefahren zu haben, beispielsweise zum Jumbo in der Clarastrasse, wo das nötige Material gekauft wurde oder zur Vermieterfirma der Lastwägen, die in der besagten Nacht für den Diebstahl zum Einsatz kamen. Er sagt aber auch, dass er nicht wusste, was genau geplant war.
In der Tatnacht selber sei er zwar Schmiere gestanden, allerdings sei ihm mit der Zeit die Lust vergangen und er habe sich in einen gegenüberliegenden Nachtclub begeben, einem Club «auf einem Schiff», wie er sagt und damit vermutlich den Club Nordstern meint. Auf Nachfrage, welche Musik dort in dieser Nacht gelaufen sei, sagt er nur «ich glaube, ein DJ hat aufgelegt».
«Geld war verlockend»
Gerichtspräsident Roland Strauss fragt ihn, ob ihm das Angebot mit dem Spielen des Aufpassers und den 10’000 Franken zu Beginn nicht komisch vorgekommen sei. «Es kam mir schon komisch vor, aber das Geld war verlockend», antwortet der 25-Jährige. Nach dem Zigaretten-Diebstahl habe er zudem Zigaretten verkauft. Insgesamt drei Mal habe er diese bei seinem Cousin bezogen, um «gutes Geld» damit zu machen. Er habe jeweils 9-10 Packungen à 50 Stangen mitgenommen.
Mit seiner Frau habe er zu keinem Zeitpunkt über die Aktion geredet. Diese hat ihm wenige Tage vor dem Diebstahl am Hafen zwei Links zu Firmen-Webseiten geschickt, die Lieferwägen vermieten. Dies beweist das Chat-Protokoll. «Diese Links waren für den geplanten Umzug nach Serbien gedacht», so der 25-Jährige. Auf die Links hatte er wiederum geantwortet: «Er hat vier Lastwagen gefunden.» Was Gerichtspräsident Strauss höchst merkwürdig und nicht zur Geschichte des Angeklagten passend findet, nickt dieser ab und sagt «so wars».
Einen Tag vor dem Diebstahl sei er mit seinem Cousin und dessen Kollegen am Tatort gewesen, um diesen zu inspizieren. Die beiden hätten erwähnt, dass hier etwas geschehen werde, was genau, habe er aber laut eigenen Aussagen nicht gewusst.
Wurde er unter Druck gesetzt?
Was der 25-Jährige am Montag am Gericht erzählt, hat er so noch nie wiedergegeben, nicht bei der ersten Einvernahme und auch nicht bei weiteren Befragungen. Staatsanwalt Tobias Kaufmann taxiert dies deshalb als Schutzbehauptung. «Warum haben Sie das nicht viel früher gesagt?», will Strauss wissen, «jetzt kommen Sie zwei Jahre nach dem Vorfall und bringen die Ereignisse, wie Sie sie erlebt haben vor, naja. Das wirft bei allen gewisse Fragen auf.» «Ich war konfus und panisch und wusste anfangs nicht, weshalb ich verhaftet wurde», antwortet der 25-Jährige.
Ob sein Cousin ihn nach der Tat und der Verhaftung unter Druck gesetzt und ihm verboten habe, sich zu äussern, will Strauss vom 25-Jährigen wissen. «Ja», antwortet dieser. Sowohl seine Ehefrau wie auch der dritte Angeklagte sagen vor Gericht nicht aus, es sei alles gesagt.
Anklageschrift lässt viele Fragen offen
Die Ehefrau kommt erst nach der Tatnacht ins Spiel, weil sie sich am Verkauf der Zigaretten beteiligt haben soll. Wie, wo und an wen sie die Zigaretten verkauft haben soll, wird in der Anklageschrift aber nicht erwähnt, was auch ihr Verteidiger Philippe Spitz bemängelt. Ihr seien somit weder bandenmässiger Diebstahl noch Hausfriedensbruch vorzuwerfen, da sie in der besagten Nacht vermeintlich gar nicht vor Ort gewesen sei. Es sei zudem nicht erwiesen, dass sie irgendwie in die Planung und Umsetzung involviert gewesen sei, so Verteidiger Spitz.
Beim dritten Angeklagten, dem Kranführer, lässt sich gar gänzlich in Frage stellen, ob er überhaupt in irgendeiner Form beteiligt gewesen war. Verteidigerin Sandra Schultz-Schmitt macht in ihrem Plädoyer nochmals deutlich, dass ihr Mandant nie Schulden gehabt, immer gearbeitet und durch seine beiden Liegenschaften auch stets ein sicheres Einkommen gehabt habe. Sie kommt zum Schluss: Er hatte kein Motiv für eine Mittäterschaft in diesem Fall. Den Auftrag, den besagten Container auf den Boden zu stellen, habe er erteilt, weil dies sein Job gewesen sei. Sein damaliger Leiter und ein Mitarbeiter hätten dies in ihren Einvernahmen bestätigt.
Zudem habe die Auswertung der Mobiltelefondaten des Ehepaars keine Kontakte mit ihrem Mandanten ergeben. Ihm wird vorgeworfen, «der Insider» gewesen zu sein, dies sei aber in keinster Weise beweisbar. Auch habe man bei ihm kein Deliktgut gefunden. «Ohne Motiv und ohne Beweise darf er nicht verurteilt werden.»
«Von langer Hand geplanter Inside-Job»
Für Staatsanwalt Tobias Kaufmann sieht die Sache anders aus. Er spricht von einem «von langer Hand geplanten Inside-Job», bei welchem der 25-Jährige ganz klar ein Mittäter gewesen sei. Seine Ehefrau bezeichnet er zudem als Mittäterin oder Gehilfin, die massgeblich am Zigarettenverkauf beteiligt gewesen sei. Sie sei «die Chefin ihres Mannes» gewesen und habe die Zigarettenstangen für 25 Franken pro Stück verkauft und somit mindestens 44’000 Franken umgesetzt.
Beim angeklagten Krankführer gebe es zudem «zu viele Zufälle, um Zufälle zu sein», so Kaufmann. Der Container habe sich «zufällig» am richtigen Ort befunden, die Tür sei «zufällig» von innen geöffnet gewesen, einen Tag nach dem Diebstahl habe er «zufällig» den Einbruch bemerkt, der ihm am Tag zuvor aber nicht aufgefallen sei. Zudem habe er kurz darauf «zufällig» seinen Job gekündigt, um woanders mehr Geld zu verdienen. «Ohne die Mittäterschaft des Krankführers wäre der Einbruch ohne Erfolg geblieben», ist sich der Staatsanwalt sicher.
Das fordert der Staatsanwalt
Der Staatsanwalt beantragt Schuldsprüche in den Anklagepunkten bandenmässiger Diebstahl, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung und verlangt für den 25-jährigen Serben und für den 43-jährigen Kranführer je eine Freiheitsstrafe von 3,5 Jahren unter Anrechnung der bereits abgesessenen Untersuchungshaft. Sie sollen zudem beide für sieben Jahre des Landes verwiesen werden. Die 38-jährige Angeklagte soll für 3 1/4 Jahre ins Gefängnis. Ein Landesverweis kommt bei ihr nicht in Frage, da sie den Schweizer Pass besitzt.
Das fordert die Verteidigung
Ein Strafmass, welches Verteidiger Spitz «aus den Socken haut». Er beantragt einen kostenlosen Freispruch seiner Mandantin und eine Entschädigung für die unberechtigte 269-tägige Untersuchungshaft in Höhe von 53’000 Franken.
Auch Verteidigerin Schultz-Schmitt beantrag einen Freispruch ihres 43-jährigen Mandanten und eine Entschädigung von 4’600 Franken für dessen Gesundheitskosten sowie 5’300 Franken für den Lohnausfall, den er durch die Untersuchungshaft erlitten hatte. Zudem soll ihrem Mandanten eine Genugtuung von insgesamt 10’600 Franken zugesprochen werden.
Der 25-Jährige, der mit Fussfesseln im Gerichtssaal sitzt, wird in irgendeiner Form am Diebstahl beteiligt gewesen sein, was seine Aussagen unterstreichen. Yves Waldmann, sein Verteidiger, beantragt einen Schuldspruch wegen Gehilfenschaft zu einfachem Diebstahl und Hausfriedensbruch und somit eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten. Da der 25-Jährige bereits ein Jahr in Untersuchungshaft sitzt, würde das eine Entschädigung für die 185 Tage Überhaft mit sich bringen. Er sei entsprechend «umgehend aus der Haft zu entlassen».
Das Gericht wird nun darüber entscheiden müssen, wer in welcher Form am Zigaretten-Diebstahl beteiligt gewesen ist. Das Urteil wird am Mittwoch um 10:30Uhr erwartet. Es gilt die Unschuldsvermutung.
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