«Dass sich der Staatsanwalt deutlich gegen das Gutachten stellt, ist starker Tobak»
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Strafgericht
Basel-Stadt

«Dass sich der Staatsanwalt deutlich gegen das Gutachten stellt, ist starker Tobak»

07.02.2024 12:37 - update 07.02.2024 17:30
Lea Meister

Lea Meister

Der Prozess rund um die tragischen Folgen einer Geburt im Bethesda-Spital vor zehn Jahren ging am Mittwoch in die letzte Runde. Zwei Verteidiger hielten ihre Plädoyers. Die Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft sind gross.

Es sind Aktenberge, die sich in den vergangenen zehn Jahren angesammelt haben: tausende Seiten, mehrere Gutachten, Anträge und Verzögerungen. Der Prozess rund um die verhängnisvolle Geburt am Bethesda-Spital vom 1. März 2014, bei welcher die Mutter verstarb und das Kind schwere und bleibende Schäden davontrug, würde nur einen Tag nach der bevorstehenden Urteilsverkündung in die Verjährung fallen.

Die Details zum gesamten Prozess findest du hier:

Am Mittwoch kam es zum letzten Verhandlungstag. Die Verteidiger des mitangeklagten Anästhesisten und der mitangeklagten Hebamme hielten ihre Plädoyers. Ein langwieriger und für alle Beteiligten kräftezehrender Prozess befindet sich also langsam aber sicher auf der Zielgeraden.

Sowohl Verteidiger Niklaus Ruckstuhl wie auch Christian von Wartburg äusserten heftige Kritik an der Arbeit der Staatsanwaltschaft im vorliegenden Fall. Staatsanwalt Camilo Cabrera hatte den Verteidigern vergangene Woche in seinem Plädoyer vorgeworfen, den Fall «sabotiert» zu haben, mit dem möglichen Ziel, den Fall in die Verjährung treiben zu wollen.

Zwickmühle für Verteidiger

Ein «unerhörter» Vorwurf, wie Christian von Wartburg mehrfach betonte. Sein Mandant, der Anästhesist, habe nur seine legalen Rechte wahrgenommen: «Ich habe immer und ausschliesslich versucht, meinen Mandanten gut zu beraten.» Tatsächlich ist die Situation des mitangeklagten Anästhesisten speziell. Im Juni 2016 wurde er erstmals als Auskunftsperson vorgeladen – über zwei Jahre nach der Geburt am Bethesda-Spital. Weil er keine Akteneinsicht erhielt, erklärte er sich aber nicht bereit dazu.

Folglich wurde er als Zeuge vorgeladen. «Also als jemand, der eindeutig nicht als Täter in Frage kommt», so von Wartburg «Diese drei Jahre brachten mich in eine totale Zwickmühle. Muss ich nun einfach hinnehmen, dass ich nie dabei sein konnte, obwohl mein Mandant zu Unrecht nicht als Partei geführt worden war?» Seinem Mandanten könne er ja wohl kaum raten, die Eröffnung eines Verfahrens gegen ihn selbst zu beantragen.

Erst ein Jahr später, 2017, wurde das Verfahren gegen den Anästhesisten eröffnet. Strafrechtlich bedeutet dies, dass er während drei Jahren nicht als Verfahrenspartei gesehen und behandelt wurde. Das Problem: Durch die späte Verfahrenseröffnung gegen seinen Mandanten, hatte auch der Verteidiger keine Einsicht in relevante Unterlagen. «Ohne Akteneinsicht kann ich niemanden beraten.»

Verhängnisvolle Aktennotiz

Ende September 2020 stiess von Wartburg dann noch auf eine Aktennotiz der Staatsanwaltschaft: Er habe mit mehreren Beschwerden und «absurden Anträgen» ein medizinisches Gutachten verhindert. Sein Mandant habe zudem die Abläufe dieses besagten 1. März 2014 verdreht und nicht dem vorliegenden Gedächtnisprotokoll entsprechend wiedergegeben. Von Wartburg stellte daraufhin einen Befangenheitsantrag – diesem wurde vom Appellationsgericht auch stattgegeben. Etwas, das eher selten vorkommt.

Nach dem Plädoyer des Staatsanwaltes Cabrera von vergangener Woche hätte von Wartburg am liebsten nochmals einen Befangenheitsantrag eingereicht. Er als Verteidiger habe aber auch ein Interesse daran, dass das Verfahren zu einem Ende kommen könne, weshalb er davon abgesehen habe. Dass Cabrera sich im Plädoyer auch immer wieder deutlich gegen das eigens eingeholte Gutachten stellte, bezeichnete er als «starken Tobak». Dem schloss sich auch Niklaus Ruckstuhl, der Verteidiger der mitangeklagten Hebamme, widerspruchslos an.

Nicht verwertbare Beweise

Die Anklageschrift sei zudem ein «Sammelsurium an Vorwürfen», die sich zum Teil sachlogisch gegenseitig ausschliessen würden, so von Wartburg. Die Staatsanwaltschaft habe sich nicht damit abfinden wollen, dass das Gutachten viele Vorwürfe aus der Anklageschrift entkräfte. Dass sich der Prozess derart in die Länge gezogen habe, liege nicht zuletzt daran, dass Cabrera drei Jahre lang nicht gegen seinen Mandanten vorging, obwohl er von Beginn weg wusste, dass dieser bei der Geburt und auch der darauffolgenden Behandlung der Mutter dabei war.

«Es ist an Unfairness nicht zu überbieten, dass der Herr Staatsanwalt sich erlaubt, dann auch noch so weit zu gehen, dass er für meinen Mandanten wegen der Wahrnehmung von legalen Verteidigungsrechten, eine höhere Strafe fordert», fügte von Wartburg an. Ein weiterer wichtiger Punkt: Alle Beweise und Unterlagen, die vor der offiziellen Verfahrenseröffnung gegen seinen Mandanten erhoben worden sind, sind im Verfahren gegen ihn nicht verwertbar.

Entsprechend dürfen sie auch nicht als Grundlage eines Gutachtens verwendet werden. Das Gutachten stütze sich aber auf Gesamtakten – dieses dann trotzdem selektiv zu verwerten, sei nahezu unmöglich. Es zeigt sich: Der riesige Aktenberg der vergangenen zehn Jahre hat in diesem Prozess Spuren hinterlassen.

Freisprüche beantragt

Klar ist: Das im Spätherbst 2023 in Auftrag gegebene Gutachten wirkt in der Tendenz eher zugunsten der Angeklagten, da es zahlreiche Vorwürfe entkräftet, beziehungsweise, sie in die Spekulation abfallen lässt. Spekulationen dienen aber nicht als Beweisgrundlage.

Christian von Wartburg beantragte für seinen Mandanten einen Freispruch in allen Anklagepunkten und eine Genugtuung in der Höhe von 5’000 Franken. Verteidiger Ruckstuhl schloss sich für seine Mandantin den beiden Forderungen an.

Wie reagiert der Staatsanwalt auf die Vorwürfe?

Den Einwand der Verteidiger, sie hätten keine ausreichende Akteneinsicht erhalten, wies Staatsanwalt Camilo Cabrera klar zurück. Dem sei nicht so. Die ersten drei Jahre habe sich das Verfahren zudem nicht in seiner Verantwortung, sondern bei der Kriminalpolizei befunden, so Cabrera. Die Teilnahme an der Gutachtenserstellung sei dem Anästhesisten mehrfach angeboten worden.

Die Erstellung der Gutachten sei von der Verteidigung mit zahlreichen Beschwerden erschwert worden. Der Vorwurf der Sabotage finde sich im Plädoyer der Staatsanwaltschaft dennoch nicht, nur der Hinweis auf zahlreiche Verzögerungen seitens der Verteidigung.

Cabrera sprach zudem nochmals die Vital-Parameter der Mutter an. Diese hätten alle im Raum zu interessieren, was am 1. März 2014 aber augenscheinlich nicht der Fall gewesen sei. Klägeranwalt Markus Schmid fügte an, es habe im gesamtem Prozess keine Kommunikationsprobleme gegeben, denn es habe schlichtweg keine Kommunikation stattgefunden, was sich auch auf den 1. März 2014 an sich und das damals im Einsatz stehende Ärzteteam übertragen lasse.

Schmid wies nochmals darauf hin, dass er einen Schuldspruch im Falle des Belegarztes und des Anästhesisten für den richtigen Entscheid halten würde. Dem widersprach Yves Waldmann, der Verteidiger des Belegarztes, in seiner Replik am Mittwoch erneut vehement: «Es kann in diesem Fall nur einen Freispruch geben.»

Das sagen die Angeklagten

Der Belegarzt erwähnte noch einmal, dass er keinen Hinweis auf Unstimmigkeiten der Vital-Parameter der Mutter erhalten habe. «Unter den sehr schwierigen Umständen behaupte ich, meine Pflicht getan zu haben.» Er habe alles daran gesetzt, die Mutter und ihr Kind zu retten und bitte das Gericht, dies entsprechend zu berücksichtigen.

Mit dem Ausdruck seines grossen Bedauerns begann der angeklagte Anästhesist seine Ausführungen. Ihn beschäftige neben den tragischen Tatsachen auch die Aufarbeitung dieses Falls. Er nahm die Vorwürfe seines Verteidigers Christian von Wartburg nochmals auf und stellte erneut die Frage in den Raum, weshalb er erst nach drei Jahren angeklagt wurde.

Er wählte seine Worte mit Bedacht und wirkte emotional. Sehr emotional wurde auch die Hebamme. Sie bedaure sehr, dass die Geburt auf diese Art und Weise habe enden müssen.

Wie geht es weiter?

Das Dreiergericht wird sich in den kommenden Wochen beraten und am 29. Februar sein Urteil verkünden – zehn Jahre nach der besagten Geburt am Bethesda-Spital und einen Tag vor der Verjährung des Falls.

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Kommentare

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09.02.2024 04:29

Sansai

Der Staatsanwalt war möglicherweise in der gleichen Studentenbewegung wie der Arzt !

1 0
07.02.2024 16:17

User

Das ganze kommt mir vor wie in den USA es muss ein Schuldiger her !!sicher ist das ganze Tragisch bringt die Mutter und Kind nicht zurück Ich habe auch zwei Söhne musste 🙏Gott sei Dank das nicht erleben

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