
Zehn Jahre nach der verhängnisvollen Geburt am Bethesdaspital ist das Urteil da
Lea Meister
Vor zehn Jahren verstarb eine Mutter bei der Geburt ihres siebten Kindes am Bethesdaspital. Das Baby erlitt schwere Gehirnschäden. Am Donnerstag folgte das Urteil – nach einem Prozess, der schier kein Ende nehmen wollte.
Der Andrang am Donnerstagmorgen ist gross. Vor dem Gerichtssaal warten die Involvierten, Angehörige, zahlreiche Medienschaffende, Studentinnen und Studenten und Schulklassen, die sich für den Fall interessieren. Um alle empfangen zu können, braucht es noch einen zusätzlichen Übertragungssaal.
Als alle ihren Platz eingenommen haben, kann das Dreiergericht endlich das Urteil verkünden, worauf alle Beteiligten seit Jahren gewartet haben. Und: Es kommt, wie erwartet, zu Freisprüchen für alle Angeklagten in allen Anklagepunkten. Der Belegarzt, der Anästhesist und die Hebamme erhalten zudem Entschädigungszahlungen.
Während die Freisprüche für den Anästhesisten und die Hebamme kostenlos erfolgen, muss der Belegarzt einen Teil der Verfahrenskosten tragen. Dies, weil ihm trotz Freispruch deutliche Sorgfaltspflichtverletzungen vorgeworfen werden können. Das Verfahren gegen die Hebamme hätte zudem wohl aus verschiedensten Gründen eingestellt werden müssen, was auch das Dreiergericht so sieht.
Das Verfahren wurde nicht «sabotiert»
Der menschliche Aspekt habe im gesamten Prozess keinen Platz gefunden, so Gerichtspräsident Roland Strauss. Dass das Leid für die Familie mit diesem Urteil zu keinem Abschluss kommen könne, sei klar. In diesem Fall habe es nur Verlierer gegeben. Die Beschuldigten seien aber stets an der Aufklärung interessiert gewesen und hätten sich für ein faires Verfahren eingesetzt. In den Situationen, die für Verzögerung sorgten, hätten sie lediglich von ihrem Beschwerderecht Gebrauch gemacht.
Ursprünglich sei geplant gewesen, den Fall deutlich früher zu verhandeln, Staatsanwalt Camilo Cabrera sei aber nicht verfügbar gewesen. Den Fall in der Zwischenzeit platzen zu lassen, wäre mehrfach möglich gewesen, es seien aber stets immer alle Angeklagten anwesend gewesen. Dafür gebühre den Dreien Respekt.
Die Frage nach der Verfahrenseröffnung
Es sei im Laufe des Ermittlungsverfahrens zu Verletzungen der Teilnahmerechte gekommen, da nicht von Beginn weg alle drei Personen als Beschuldigte behandelt worden seien. Baseljetzt berichtete mehrfach. Das Verfahren gegen den Belegarzt wurde damals sofort eröffnet. «Das war selbstverständlich richtig», so Strauss.
Nach Durchsicht der Akten habe die Staatsanwaltschaft gewusst, dass auch der Anästhesist und die Hebamme involviert gewesen seien. Die Verfahrenseröffnung gegen die Hebamme erfolgte jedoch erst vier Monate danach, diejenige gegen den Anästhesisten gar noch eineinhalb Jahre später. «Das war viel zu spät, war doch ein ausreichender Tatverdacht längst gegeben», so Strauss. Dass also drei Jahre lang drei getrennte Verfahren zur selben Begebenheit geführt wurden, «gehe nicht», so Strauss.
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Die Kritik des Gerichtspräsidenten an der Arbeit der Staatsanwaltschaft vor der Fallübernahme durch Staatsanwalt Cabrera, aber auch danach, ist gross. Nicht nur habe sich alles deutlich in die Länge gezogen, es seien auch Personen in falschen Rollen befragt worden.
Zu den eigentlichen Vorkommnissen
Suboptimal sei sicher gewesen, dass der Belegarzt bei der besagten Geburt nicht der eigentliche Gynäkologe der Mutter gewesen sei. Ein Uterusriss komme in unseren Breitengraden statistisch gesehen zudem einmal auf 20-30’000 Geburten vor, so Gerichtspräsident Strauss.
Die Gabe von Syntocinon zur Verstärkung der Wehen war laut dem gynäkologischen Gutachter nicht zwingend, zu beanstanden sei sie aber nicht. Die genaue Ursache für die Uterusruptur habe im vorliegenden Fall nicht genau geklärt werden können, was eben «auch eine Antwort sei», so Strauss.
Gerichtspräsident Strauss geht folglich nochmals im Detail auf die Momente nach der Geburt des Kindes ein. Seine Ausführungen zeigen: Die grosse Frage ist: «Was wäre gewesen, wenn?». Also folglich: Spekulation. Und die Antwort darauf bleibt unklar, was wohl ein bedeutsamer Mitgrund für die Freisprüche war.
Auch die Frage nach dem «Kipp-Punkt» bei der Mutter, also dem Moment, vor welchem man sie noch hätte retten können, bleibe rein spekulativ, so Strauss. Dies habe auch einer der Gutachter entsprechend beschrieben.
Kurz vor der Verjährung kommt es zum Urteil
Die verhängnisvolle Geburt mit schrecklichen Folgen ereignete sich am 1. März 2014 im Bethesdaspital. Seit dem Spätherbst des vergangenen Jahres müssen sich der zuständige Belegarzt, der Anästhesist und die Hebamme vor Gericht verantworten.
In zehn Jahren haben sich Aktenberge angesammelt, mehrere Gutachten und Anträge sorgten einerseits für weitere fachliche Einschätzungen und andererseits für grosse Verzögerungen. Einen Tag vor der Verjährung des Anklagepunktes der fahrlässigen Tötung kam es schliesslich tatsächlich zur Urteilsverkündung. Dass der Prozess in dieser mündet, ist also nicht selbstverständlich.
Urteil kann noch angefochten werden
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft und die Privatkläger können es anfechten und eine Neubeurteilung beantragen. «Wir wissen alle nicht, ob dieses Verfahren mit dem heutigen Urteil zu einem Abschluss kommt», schliesst Gerichtspräsident Strauss.
Ob der zuständige Staatsanwalt Cabrera Berufung einlegen wird, steht noch nicht fest. Er sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-sda, dass er zuerst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten wolle.
Erleichterung bei der Verteidigung
Die Erleichterung bei den Freigesprochenen ist riesig. Es fliessen Tränen und es werden Angehörige umarmt. Der langwierige Prozess kommt für sie zu einem erlösenden Ende.
Christian von Wartburg, der Verteidiger des Anästhesisten, zeigt sich nach der Urteilsverkündung ebenfalls erleichtert. Das Gericht habe den Fall «fair» beurteilt und er hoffe, dass die an der Staatsanwaltschaft geäusserte Kritik einen Effekt auf künftige Fälle haben wird. Für seinen Mandanten sei das Urteil besonders deshalb eine sehr grosse Erleichterung, weil man ihm keine Sorgfaltspflichtverletzungen nachgewiesen hat.
Das Leben in den Händen eines Arztes
Auch Simone Abt, Vorstandsmitglied der Patientenhilfe beider Basel, kritisiert die Freisprüche nicht: «Ich glaube, dass dieses Urteil richtig ist. Man muss ja sehr konkret und handfest beweisen können, wo und wann Fehler passiert sind und welche effektiven Kausalzusammenhänge dann auch zu diesem Resultat geführt haben.» Das habe man in diesem Fall wohl nicht gekonnt, weshalb ein Freispruch richtig sei.
Ein grosses Problem sieht Abt aber in der Fehlerkultur im medizinischen Bereich. Grundsätzlich würden Patient:innen vor einem Eingriff ihr Leben in die Hand der behandelnden Ärzt:innen geben. Entsprechend wichtig sei das Vertrauen. Ein Problem, welches sich auch in diesem Fall gezeigt habe, sei, dass die Verantwortungen derart klar definiert und abgeschirmt seien, dass «jeder sein Gärtchen pflege» und Patient:innen so zwischen zwei Kompetenzbereichen durchfallen könnten. Was im schlimmsten Fall eben in schrecklichen Umständen enden könne.
Im Laufe dieses Prozesses habe sie ein Satz besonders schockiert: «Das ist nicht meine Aufgabe.» Ein Satz, den der Belegarzt zu Beginn des Prozesses geäussert hat. «Das darf nicht passieren, Ärzte müssen gesamtheitlich schauen. Natürlich haben sie ihren Fachbereich, aber sie haben eigentlich einen Eid geschworen, Leben zu erhalten.»
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