
Mehrere Delikte bei der Dreirosenanlage: 19-Jähriger verstrickt sich in Widersprüche
Lea Meister
Ein 19-jähriger Algerier musste sich am Mittwoch vor Gericht verantworten. Ihm werden mehrfacher Diebstahl, Körperverletzung und versuchte vorsätzliche Tötung vorgeworfen. Er gab nur das zu, was man ihm klar und deutlich nachweisen konnte.
Versuchte vorsätzliche Tötung, mehrfache Körperverletzung und mehrfacher Diebstahl – das sind die Vorwürfe, die den 19-Jährigen am Mittwoch vors Basler Strafgericht gebracht haben.
Zwischen dem 15. September und dem 31. Oktober 2023 soll der Algerier verschiedene Delikte begangen haben, fast alle davon im Bereich der Dreirosenanlage. So soll er mehrfach Schmuck und technische Geräte gestohlen und zwei Männer verletzt haben. Der 19-Jährige ist zudem vorbestraft wegen Diebstahls, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch in Luzern. Die Vorwürfe im Detail kannst du hier nachlesen:
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Unklare Vorgeschichte
Der Beschuldigte verbrachte seine Kindheit im Nordwesten Algeriens, aufgezogen von einer Frau, die ihn nach dem Ableben seiner Eltern bei sich aufnahm. Er gibt an, seine Eltern nie kennengelernt zu haben, da sie von Terroristen getötet worden waren, als er gerade einmal ein Jahr alt war. Ihr nichtreligiöser Lebensstil habe zur Ermordung geführt. Ein Mitgrund für ihn, mit etwa 16 das Land zu verlassen und nach Europa aufzubrechen.
So erzählt der 19-Jährige seine Vorgeschichte zumindest am Mittwoch vor Gericht. In früheren Einvernahmen hatte er hingegen behauptet, aus Algerien ausgereist zu sein, weil er jemanden mit einem Messer verletzt habe und deshalb nicht mehr zurück dürfe. Diese Geschichte bezeichnet der junge Mann am Mittwoch als Lüge, die er nur aus Respekt vor der Migrationsbehörde erzählt habe. Schlüssig wird die Aussage nicht wirklich, gibt er doch an, die Geschichte seiner Eltern für sich behalten zu haben, aus Angst davor, deswegen in seine Heimat zurückgeschickt zu werden.
Mehrere Widersprüche
Es bleibt an diesem Prozesstag nicht bei diesem einen Widerspruch. So behauptet der Angeklagte beispielsweise, dass es am 21. Oktober zu einer Versammlung verschiedener Männer unterhalb der Dreirosenanlage gekommen sei. Als plötzlich Streit ausbrach, habe er die Menge auseinandertreiben wollen und deshalb seine Musikbox, die an einem Band hing, in die Gruppe geschwungen.
Dass er dabei einen Mann am Auge getroffen und verletzt hat, tue ihm sehr Leid, denn er habe niemandem schaden wollen. «Ich bin direkt danach zu ihm hin, um mich zu entschuldigen», sagt der 19-Jährige. Die Entschuldigung habe sein Gegenüber auch angenommen.
Trübe Erinnerung
Die Aufnahmen der Überwachungskameras rund um die Dreirosenanlage zeigen jedoch ein anderes Bild: Darauf ist zu sehen, wie mehrere Männer mutmasslich vor dem Angeklagten davonrennen, während er zum Schlag mit der Musikbox ausholt. Noch am selben Abend soll er dasselbe Opfer und einen Kollegen in eine ruhigere Seitenstrasse gelockt und beide mehrfach mit einem Messer verletzt haben.
Davon will der 19-Jährige nichts wissen. Er habe niemanden mit einem Messer verletzt. Nach dem Vorfall mit der Musikbox sei er zum Bahnhof in den Park gegangen, um Alkohol zu trinken und später in einen Zug nach Luzern einzusteigen. So zumindest die erste Version. Wenig später sagt er, er könne sich aufgrund seines hohen Alkoholkonsums an diesem Abend nicht mehr daran erinnern, was danach passiert sei. Die Auswertung der Telefondaten zeigt: Sein Handy befand sich den ganzen Abend über im Quartier rund um die Dreirosenanlage. Und die Videoaufnahmen zeigen: Er wirkte nicht betrunken, sondern vielmehr klar und zielgerichtet, wie Gerichtspräsidentin Dorrit Schleiminger bemerkt.
Belastend sind die Aussagen der beiden Opfer, die beide aussagten, dass die Stichverletzungen von der gleichen Person gekommen seien, die dem einen der beiden auch die Musikbox ans Auge geschlagen habe. Der 19-Jährige kann die Aussage nicht verstehen und vermutet Rache dahinter. «Der eine der beiden war wohl nachtragend und wollte mich in die Pfanne hauen.» «Aber Sie haben zugegeben, dass Sie ihn tatsächlich verletzt haben», bohrt Schleiminger nach. Im Laufe der Ermittlungen wurden die Opfer nur einmal befragt, da sie inzwischen verschwunden sind und wahrscheinlich weitergezogen sind.
Zeuge ist sich unsicher
Der 19-Jährige verstrickt sich am Mittwoch in vermeintlichen Lügengeschichten, gesteht nur das, was man ihm mit grosser Wahrscheinlichkeit nachweisen kann, nämlich die Körperverletzung mit der Musikbox und zwei der angeklagten Diebstahldelikte. Spannend wird es, als ein Mann, der im vergangenen September mutmasslich vom Angeklagten bestohlen wurde, als Zeuge aussagt. Vier Tage nach der Tat hat er den mutmasslichen Täter am Bahnhof SBB wiedererkannt und ihn der Polizei gemeldet.
Im Gerichtssaal wird ein Foto des damals 18-Jährigen gezeigt. Seine Frisur ist anders als heute. Der Zeuge kann am Mittwoch nicht mehr mit Sicherheit sagen, ob es wirklich der Mann war, der ihm am besagten Abend seine Kette gestohlen hat. «Mein Bauchgefühl sagt, er ist es vielleicht nicht», sagt er und betont, er wolle verhindern, dass ein Unschuldiger verurteilt wird.
Eigentlich eine Zeugenaussage, die dem 19-Jährigen in die Karten spielen könnte. Doch als er darauf angesprochen wird, ob er auf dem besagten Bild zu sehen sei, zeigt er sich unschlüssig und verneint nicht klar. Auch die Staatsanwältin macht in ihrem Plädoyer darauf aufmerksam. «Es fiel ihm schwer, auf die Frage, ob er das auf dem Bild sei, mit Nein zu antworten.» Zudem habe er das T-Shirt auf dem Foto erkannt. Zu viele Zufälle für die Staatsanwaltschaft.
Möglichen Tod in Kauf genommen
Auch die Unsicherheit des Zeugen, wenn es um die Identifizierung des Täters geht, spreche nicht gegen seine Schuld. Denn der Fakt, dass er den Mann am Bahnhof unter Hunderten wiedererkannt habe, sei viel aussagekräftiger als die Unsicherheit nahezu ein Jahr nach der Tat.
Besonders bei der Körperverletzung mit dem Messer, bei welcher das eine Opfer seitlich im Rippenbogen erwischt wurde, habe der 19-Jährige den möglichen Tod seines Gegenübers in Kauf genommen, betont die Staatsanwältin, nachdem am Prozessmorgen eine medizinische Gutachterin die Stelle des Einstichs im Detail erklärt hatte. Zudem sei er auch bei den Vermögensdelikten immer zusammen mit anderen Männern in Überzahl aufgetreten, um seine Opfer einzuschüchtern.
«Viel mehr Entlastendes als Belastendes»
Die Staatsanwältin fordert eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren und einen Landesverweis für zehn Jahre, da er noch nicht lange in der Schweiz sei, die Sprache nicht spreche und sein Asylantrag abgewiesen worden sei.
Bei dieser Höhe des geforderten Strafmasses dürfe es keine Zweifel an der Täterschaft geben, betont die Verteidigerin des 19-Jährigen in ihrem Plädoyer. Im Anklagepunkt der vorsätzlichen versuchten Tötung beantragt sie einen Freispruch – man habe weder DNA noch das Tatmesser gefunden und die Fotos der Überwachungskameras seien ihrer Ansicht nach für eine Identifikation nicht ausreichend.
Zusammengefasst gebe es «extrem viel mehr Entlastendes als Belastendes». Auch vom Diebstahl der Goldkette des geladenen Zeugen sei ihr Mandant freizusprechen. Dies, weil ihn der Zeuge nicht mehr mit Sicherheit habe als Täter identifizieren können. Zwei weitere Diebstähle und die Körperverletzung mit der Musikbox habe der 19-Jährige zugegeben, weshalb die Strafe auf diese Anklagepunkte zu reduzieren sei. Sie fordert eine Strafe von maximal zwei Jahren mit bedingtem Vollzug – auch das noch junge Alter ihres Mandanten sei hier zu beachten. Dieses spreche auch gegen einen Landesverweis. «Der Beschuldigte ist jung und hat das Recht, in Europa Fuss zu fassen und sein Leben hier in irgendeiner Form zu starten.»
Angeklagter hofft auf «gerechtes Urteil»
Der 19-Jährige, der seit Februar 2024 inhaftiert ist und sich seit Anfang April im Gefängnis Bässlergut im vorzeitigen Strafvollzug befindet, hofft auf Gerechtigkeit und sagt – über den anwesenden Dolmetscher – an die Gerichtspräsidentin gerichtet: «Wenn Sie mich verurteilen, bitte ich um ein gerechtes Urteil. Verurteilen Sie mich wegen des Messerangriffs, dann verurteilen Sie einen unschuldigen Menschen.»
Das Urteil wird am Donnerstag um 11 Uhr erwartet. Es gilt die Unschuldsvermutung.
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Freddi1985
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